Welche spezifischen Kompetenzen bringt das Fraunhofer IAP ein?
Zugegebenermaßen können wir nicht in jedes Material jede Funktion einprogrammieren. Wir müssen das Material zunächst designen. Dafür sind beispielsweise TPUs bestens geeignet. Wir fangen also mit dem Maßschneidern der physikalischen Eigenschaften in der Polymersynthese an. Und wenn wir das Material synthetisiert haben, dann werden daraus Halbzeuge wie Filamente oder Folien hergestellt. Wir können auch Schläuche extrudieren und Schaumstoffe mit unserer Reaktivschäumanlage herstellen. Und wenn es um TPUs mit Formgedächtniseigenschaften geht, haben wir die Herstellungsmethoden sukzessive verbessert. Durch die Vereinfachung der Herstellung solcher Materialien, ist es zunehmend möglich, neue Anwendungen zu erschließen. Immer wichtiger wird die Skalierung der Herstellung bis in den Tonnenmaßstab. Das zeigen uns die Anfragen von Industriepartnern. Um solche Bedarfe zukünftig zu erfüllen, haben wir neben unserem CPM-Partner, dem Fraunhofer ICT, am Fraunhofer IAP das Pilotanlagenzentrum PAZ in Schkopau. Insofern kann ich sagen, wir haben vieles hier selbst in der Hand.
Welche Materialien haben Sie konkret im Jahr 2023 programmiert?
Wir haben uns mit der Weiterentwicklung thermoplastischer Polyurethane mit Formgedächtniseigenschaften beschäftigt und konnten zum ersten Mal zeigen, dass es möglich ist, ein thermisch schaltbares Getrieberad herzustellen. Derartige Getrieberäder sind dazu im Stande, die Übertragung von Kräften aufrechtzuerhalten oder sie bei Erhöhung der Umgebungstemperatur temporär zu unterbrechen. Damit ist es gelungen, eine Überlastschutz-Funktion zu implementieren. TPU-Materialien sind allgemein bekannt dafür, dass sie verschleißfest sind. Daher sehen wir hier ein großes Potenzial.
Wenn ich an andere Funktionsmaterialien denke – beispielsweise winddichte oder wasserfeste Membranen: Was muss passieren, damit programmierbare Materialien genauso populär werden?
Der Durchbruch für programmierbare Materialien wird erfolgen, sobald von den Unternehmenslenkern die funktionalen Vorteile entsprechend wahrgenommen werden. Dann kann es schnell gehen mit der Erschließung verschiedenster Anwendungen. Hier sehen wir uns für die kommenden Jahre mit unserem Knowhow bestens aufgestellt, um Unternehmen in vielfältiger Hinsicht auf diesem Weg zu unterstützen.
Welche Schritte sind dafür notwendig?
Der Punkt ist: die Zusammenarbeit mit der Industrie muss weiter ausgebaut werden. Auch der Preis ist ein nicht unwesentliches Kriterium. Hier konnten wir in verschiedenen Zusammenhängen schon zeigen, dass die Herstellungskosten bei programmierbaren Materialien nicht signifikant teurer sind als bei Standardmaterialien. Natürlich muss auch das Produktdesign weiterentwickelt werden, so dass die Produkte auch gesellschaftlich überzeugen. Wir müssen zudem junge Leute für unsere Technologien begeistern und als Magnet wirken für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, um das Thema stetig weiter voranzubringen. Die Zusammenarbeit mit anderen Fraunhofer-Instituten zu stärken, ist wichtig. Der Fraunhofer Cluster CPM ist dafür das richtige Netzwerk.
Kreislaufwirtschaft, Zero Waste und Dekarbonisierung gehören zu den Zukunftstrends. Wo stehen programmierbare Materialien?
Schon bei der Synthese berücksichtigen wir den CO2-Fußabdruck der verwendeten Chemikalien. Im Cluster haben wir uns bereits intensiv mit dem Thema mechanisches Recycling von 4D-gedruckten Objekten beschäftigt. Das programmierbare Material konnte danach erneut im 4D-Druck verarbeitet werden. Die funktionalen Eigenschaften blieben weitgehend erhalten. Perspektivisch verfolgen wir das Ziel, eine Kreislaufführung zu ermöglichen, die branchenübergreifend ist. Die Kreisläufe lassen sich miteinander verschränken. Es ist möglich, das Material in derselben Anwendung wieder einsetzen, aber auch in einer anderen.
Welche Ziele verfolgen Sie im Jahr 2024?
Das industrielle Interesse weiter zu steigern ist das Wichtigste. Und die Zusammenarbeit mit unseren Partnern weiter auszubauen!
// Das Interview führte Andrea Schneidewendt, Abteilung Strategie und Kommunikation am Fraunhofer IAP