Glykopolymere für Wirkstoff-Formulierungen

Wenn Zucker wirkt: Smarte Formulierungen für die Medizin von morgen

Interview mit Prof. Dr. Ruben R. Rosencrantz , Leiter des Forschungsbereichs Life Science und Bioprozesse

Am Fraunhofer IAP modifizieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Polymere für die Formulierung von Wirkstoffen. Besonders spannend ist der Einsatz der Glykobiotechnologie: Dabei werden Zuckermoleküle in Polymere integriert. Im Interview gibt Professor Ruben R. Rosencrantz spannende Einblicke in aktuelle Projekte, beleuchtet die damit verbundenen Herausforderungen und zeigt die Chancen dieser innovativen Ansätze auf.

1. Was treibt Ihre Forschung an und welches Potenzial möchten Sie erschließen?

Viele Wirk- und Impfstoffe benötigen spezielle Formulierungen, ohne die eine effektive Verabreichung oft nicht möglich ist. Eine der größten Herausforderungen in der Wirkstoff-Formulierung ist die Balance zwischen Stabilität und Bioverfügbarkeit. Viele hochpotente Wirkstoffe scheitern in der klinischen Entwicklung, weil sie entweder im Körper zu schnell abgebaut werden oder ihr Ziel nicht effizient erreichen können.

Hier sehen wir enormes Potenzial in unseren glykobiotechnologischen Ansätzen: Durch den gezielten Einsatz von Zuckermolekülen mit speziellen Ladungseigenschaften oder der Fähigkeit, spezifisch mit Zellrezeptoren zu interagieren, können wir neue Wege für den präzisen Transport von Wirkstoffen erschließen. Mit innovativen Formulierungsstrategien wollen wir die medizinische Forschung und therapeutische Anwendungen entscheidend voranbringen – denn eine durchdachte Formulierung ist der Schlüssel zu effektiveren, sichereren Therapien und einer nachhaltigen Verbesserung der Gesundheitsversorgung.

 

2. Welche Erfolge oder Erkenntnisse aus Ihrer bisherigen Arbeit stimmen Sie besonders optimistisch? Wo sehen Sie noch spannende Herausforderungen?

Ein besonders aufregender Erfolg war unser Beitrag zum Projekt »Impfstoff gegen Asthma - Mukosale Applikation von RSV-Antigenen zur Verhinderung von juvenilem Asthma bronchiale« MucoRSV, das im Rahmen des Fraunhofer Cluster of Excellence »Immune-Mediated Diseases« CIMD vom Fraunhofer IZI koordiniert wurde. Wir haben am Fraunhofer IAP inaktivierte Respiratorische Synzytial-Viren (RSV), die Atemwegsinfektionen hervorrufen, mit speziellen Lipiden formuliert. Diese Methode hat bei Mäusen eine starke Immunantwort ausgelöst, was auf einen vielversprechenden Impfschutz gegenüber RSV hindeutet. Das Besondere daran: Da die Impfung über die Schleimhäute verabreicht wird, schützt sie direkt dort, wo das Virus in den Körper eindringt – ein vielversprechender Ansatz, vor allem für gefährdete Gruppen wie Säuglinge und ältere Menschen. Die Erkenntnisse wurden 2024 in dem Fachjournal Frontiers in Immunology veröffentlicht.

Die Schleimhautimmunität als erste Verteidigungslinie gegen Pathogene zu stärken, könnte ein Schlüssel zur Bekämpfung zahlreicher Infektionskrankheiten sein. Beispielsweise entwickeln wir in dem CIMD-Projekt »Mukosal applizierte, LEEI-inaktivierte Parasiten zur Behandlung von Allergien« MELLIPA zusammen mit den Fraunhofer-Instituten IZI, FEP, IPA und ITEM eine Formulierung zur Allergieprävention, die inaktivierte Parasiten enthält. Die Herausforderung besteht dabei darin, die immunstimulatorischen Eigenschaften so zu erhalten oder zu verstärken, dass ein präventiver Effekt gegen allergische Reaktionen erzielt werden kann.

Ein weiteres Highlight sind unsere bedeutenden Fortschritte beim Einsatz modifizierter Polymere für die DNA/RNA-Transfektion – einer Methode, mit der genetisches Material gezielt in Zellen eingeschleust wird. Wir haben dafür Polymere mit Zuckerstrukturen modifiziert, um ihre Ladungen und Hydrophilie anzupassen und gleichzeitig die selektive Wechselwirkung mit Zellrezeptoren und Lektinen zu ermöglichen. Diese ermöglichen eine effizientere und verträgliche Formulierung zur Aufnahme von DNA oder RNA in die Zelle. Die nächste Herausforderung ist nun, diese Technologie in realitätsnahen Modellen wie Organoiden, also organähnliche Mikrostrukturen, oder Gewebeschnitten zu testen. Dafür arbeiten wir eng mit den Fraunhofer-Instituten ITEM und ISC im Rahmen der CIMD-Plattform für RNA-Therapeutika zusammen.

 

3. Wenn Sie an die Zukunft denken: Wo könnte Ihre Forschung konkret Wirkung entfalten?

Unsere Arbeit mit zuckermodifizierten Polymeren könnte wegweisend für die nächste Generation von Formulierungen für Impfstoffe und RNA-Therapeutika sein. Die COVID-19-Impfstoffentwicklung hat eindrucksvoll das Potenzial RNA-basierter Behandlungen gezeigt. Um diese Technologie auf weitere Krankheiten auszuweiten, sind jedoch effizientere Formulierungsstrategien erforderlich – ein Bereich, in dem wir einen wichtigen Beitrag leisten können.

Ein bedeutender Schritt wird die erfolgreiche Transfektion von Organoiden und Gewebsschnitten sein. Diese dreidimensionalen Zellkulturmodelle bilden die Komplexität menschlicher Gewebe wesentlich besser ab als herkömmliche 2D-Zellkulturen und könnten dadurch die Vorhersagekraft präklinischer Studien erheblich verbessern. Diese Erkenntnisse sind besonders wertvoll, da sie es uns erlauben, realitätsnähere Testsysteme zu entwickeln, die uns helfen werden, neue Therapien – etwa zur Behandlung von Fibrose oder Krebserkrankungen – schneller und sicherer in die klinische Anwendung zu bringen.

Auch bei der Allergieprävention kann unsere Arbeit entscheidende Beiträge leisten. Die Nutzung inaktivierter Parasiten als Immunmodulatoren könnte neue Wege eröffnen, um das Immunsystem frühzeitig zu trainieren und das Risiko für Allergien zu senken. Angesichts der steigenden Allergieprävalenz in industrialisierten Ländern hätte dies großes Potenzial für die öffentliche Gesundheit.

 

4. Gibt es eine Erkenntnis, einen Gedanken oder einen Ausblick, den Sie zum Abschluss gern mit der Fachwelt oder der Öffentlichkeit teilen möchten?

Die Wirkstoff-Formulierung steht oft im Schatten der Entdeckung neuer Wirkstoffe, dabei kann sie mitunter der entscheidende Schlüssel sein, um aus einer vielversprechenden Substanz ein wirksames Medikament zu machen. Die Entwicklungen des Fraunhofer IAP zeigen, dass innovative Formulierungsstrategien neue therapeutische Möglichkeiten eröffnen könnten. Dabei sind die interdisziplinäre Zusammenarbeit und die engen Kooperationen mit Partnern extrem wichtig. Die Vernetzung verschiedener Expertisen schafft Synergien, die für bahnbrechende Innovationen unerlässlich sind.

Wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei Fraunhofer haben die Aufgabe, unsere Erkenntnisse aktiv in die Anwendung zu bringen. Die gesellschaftlichen Herausforderungen – sei es die Bekämpfung von Infektionskrankheiten oder die steigende Allergieprävalenz – erfordern mutige und innovative Lösungsansätze. Mit unserer Expertise in der Wirkstoffformulierung am Fraunhofer IAP möchten wir dazu einen bedeutenden Beitrag leisten und laden alle interessierten Partner aus Wissenschaft und Industrie ein, mit uns gemeinsam an diesen spannenden Zukunftsthemen zu arbeiten.

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Ruben R. Rosencrantz

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Prof. Dr. Ruben R. Rosencrantz

Forschungsbereichsleiter | Life Science und Bioprozesse

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