Pilotanlagen: Prozessoptimierung bis zum industrienahen Prototyp

Warum Pilotanlagen für die Industrie?

Am Fraunhofer IAP betreiben wir Pilotanlagen für die Industrie. Mit ihrer Hilfe entwickeln wir neue Technologien, Materialien und Prozesse, die Gesellschaft und Wirtschaft voranbringen. Unsere Pilotanlagen unterstützen die Industrie dabei, Synthesen für Polymere, Biopolymere oder Nanopartikel zu testen, vielversprechende Ansätze der Material- und Prozessentwicklung zu skalieren sowie Produkte wirtschaftlich zu produzieren. Das sind entscheidende Schritte, um innovative Lösungen aus dem Labor fit zu machen für die Herstellung und Verarbeitung in großen Mengen. Denn nicht alles, was im Reagenzglas oder im kleinen Maßstab funktioniert, schafft es zur Marktreife. Neuen Technologien ebnen wir so den Weg in den Markt und in den Alltag.

 

Polymersynthese und Skalierung

Am Fraunhofer-Pilotanlagenzentrum PAZ in Schkopau betreiben wir die größte außerindustrielle Einrichtung für Polymersynthese im industrienahen Maßstab in Europa. Im September 2023 eröffneten wir einen Neubau mit rund 550 Quadratmetern für die nachhaltige Synthese von Polymeren. Unser Ziel ist es, nachwachsende Rohstoffe zu verwenden und die Ressourcen- und Energieeffizienz der Verfahren und Produktionsprozesse zu erhöhen. Dazu gehören auch Maßnahmen, um die Verwendung umweltschädlicher Lösemittel in Synthesen zu reduzieren oder gar zu vermeiden.

Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Weiterentwicklung innovativer Synthesekautschuke, wie dem biomimetischen Synthesekautschuk BISYKA. Fahrzeugreifen aus BISYKA-Kautschuk verursachen etwa 30 Prozent weniger Abrieb als Reifen aus Naturkautschuk und sorgen so für weniger Mikroplastik in der Umwelt. Finanziert wurde der Neubau mit rund 7 Millionen Euro aus Mitteln der Europäischen Union (EFRE), des Ministeriums für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.

 

Fraunhofer PAZ eröffnet Erweiterungsbau
© Fraunhofer IAP, Foto: Till Budde
Prof. Klingner, Direktor Forschung der Fraunhofer-Gesellschaft, Prof. Böker, Leiter des Fraunhofer IAP, Wissenschaftsminister Prof. Willingmann, Sachsen-Anhalt, Dezernentin Kleinert, Saalekreis, und Prof. Bartke, Leiter des Fraunhofer PAZ, eröffneten gemeinsam den Erweiterungsbau des Fraunhofer PAZ (v.l.n.r.)
© Fraunhofer IAP, Foto: Till Budde
Prof. Bartke (re.), Leiter des Fraunhofer PAZ, erläuterte Wissenschaftsminister Prof. Willingmann (li.), Sachsen Anhalt, bei einem Rundgang die Leistungen des Bereichs Polymersynthese am Fraunhofer Pilotanlagenzentrum PAZ.
© Fraunhofer IAP, Foto: Till Budde
Prof. Böker, Leiter des Fraunhofer IAP, Wissenschaftsminister Prof. Willingmann, Sachsen Anhalt, Prof. Klingner, Direktor Forschung der Fraunhofer-Gesellschaft, Prof. Bartke, Leiter des Fraunhofer PAZ, im Gespräch anlässlich der Eröffnung des Erweiterungsbaus des Fraunhofer PAZ (v.l.n.r.).

Biopolymere

Biokunststoffe stellen mehr und mehr eine Alternative zu erdölbasierten Kunststoffen dar. Diese nachhaltigen Materialien bieten einige Vorteile: Sie werden aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt und können biologisch abbaubar sein. Biopolymere tragen dazu bei, die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen und Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Sie haben Verarbeitungseigenschaften, die mit denen herkömmlicher Kunststoffe vergleichbar sind. Um unterschiedliche Anwendungen in der Industrie realisieren zu können, erweitern wir das Angebotsspektrum. Der Entwicklungsbedarf in diesem Bereich ist groß.

Polybutylensuccinat (PBS)

In dem Projekt RUBIO verwirklichen 18 Partner aus Industrie und Forschung die Vision einer nachhaltigen Kunststoffwirtschaft. Forschende am Fraunhofer IAP entwickeln neuartige Typen des Biokunststoffs Polybutylensuccinat, damit er für deutlich mehr Anwendungen eingesetzt werden kann. Sowohl das Syntheseverfahren für die neuen PBS-Typen als auch das Überführen der Ergebnisse in den industrienahen Pilotmaßstab erfolgen am Fraunhofer IAP. Darüber hinaus untersuchen unsere Expertinnen und Experten am Verarbeitungstechnikum Biopolymere Schwarzheide, wie die neu entwickelten Kunststofftypen und -mischungen thermoplastisch verarbeitet werden können – vom Blasformen über die Extrusion bis zum Spritzgießen. Auch Tests zur Bioabbaubarkeit, Bedruckbarkeit, Siegelfähigkeit oder Maschinengängigkeit werden am Verarbeitungstechnikum durchgeführt. PBS wird aus nachwachsenden Quellen hergestellt und ist biologisch abbaubar. Im Projekt RUBIO sollen künftig regionale pflanzliche Reststoffe verwendet werden.

Portraitfoto Thomas Büsse

»Grundsätzlich können alle Materialien verwertet werden, die Cellulose oder Lignocellulose enthalten. Dazu zählen u.a. nicht verrottende Gärreste aus Biogasanlagen, in vielfältiger Form anfallende Reste aus landwirtschaftlichen Betrieben oder theoretisch sogar Abfälle aus der Papierproduktion.«

Thomas Büsse, Koordinator des Verbundprojekts »Verarbeitung« bei RUBIO

Polymilchsäure (PLA)

Der Biokunststoff PLA, auch Polymilchsäure oder Polylactid genannt, wird aus Milchsäure gewonnen und hat im Bereich der Biokunststoffe ein hohes Marktpotenzial. Das biologisch abbaubare Polymer wird aus nachwachsenden Rohstoffen wie Maisstärke oder Zuckerrohr hergestellt. PLA ist als umweltfreundliche Alternative zu herkömmlichen Kunststoffen weit verbreitet. Die Verpackungsindustrie fertigt Tragetaschen, Becher, Schalen oder Folien aus Polymilchsäure. In der Textilindustrie wird es für die Herstellung von Kleidung und Vliesstoffen eingesetzt. Die Medizintechnik verwendet Polylactid für absorbierbare Nahtmaterialien oder Implantate. Auch im 3D-Druck ist es ein beliebtes Material. Für die Entwicklung neuer PLA-Materialien steht am Fraunhofer IAP eine Pilotanlage bereit. Sie ermöglicht Synthesen bis in den Kilogramm-Maßstab, sowohl im Batch- als auch im kontinuierlichen Verfahren. Im Kundenauftrag testen wir verschiedene Milchsäurequalitäten. Wir überprüfen, ob die Milchsäure für die Herstellung von PLA geeignet ist, und wir begleiten die Entwicklung bis zum stabilisierten PLA. Zudem verbessern wir Syntheseprozesse und passen die Eigenschaften von PLA-Materialien an spezifische Anwendungen an.

 

Green Plastics – biobasierte Polymerbausteine

Wie sich Polymere aus Kohlenstoffdioxid und biogenen Rohstoffquelle herstellen lassen, beleuchtet ein Forschungsteam aus mehreren Fraunhofer-Instituten im Vorhaben »Green Plastics«. Unter der Leitung des Fraunhofer IAP entwickeln die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die gesamte Prozesskette zur Herstellung nachhaltiger Polymere durch Fermentation – also durch mikrobielle oder enzymatische Prozesse. Von der Kultivierung der Mikroorganismen über die Fermentation in Bioreaktoren, das Reinigen der Zielsubstanzen bis hin zum Design der Reaktoren gewinnen die Forscherinnen und Forscher Daten für die Entwicklung nachhaltiger Prozesse für die chemische Industrie. »Green Plastics« ist Teil des Fraunhofer-Leitprojekts »ShaPID – Shaping the Future of Green Chemistry by Process Intensification and Digitalization«. Die Fraunhofer-Gesellschaft unterstützt mit diesem Leitprojekt die Transformation der chemischen Industrie hin zu einer nachhaltigen und umweltfreundlichen Produktion – die sogenannte grüne Chemie. Erste Erkenntnisse aus »Green Plastics« präsentierte Dr. Ulrich Wendler, Abteilungsleiter Synthese und Produktentwicklung am Fraunhofer PAZ, einem Forschungsbereich des Fraunhofer IAP, auf dem »Fraunhofer Technologietag – Scale up Green Chemistry Now!« am 29. November 2023. 

Recycling von Kunststoffen

Mit unserer langjährigen Erfahrung in der Entwicklung von Polymeren stärken wir die Kreislaufwirtschaft. Recycling ist dabei ein wichtiger Aspekt. Neue Methoden der Trennung und Aufbereitung von Materialien erforschen wir mit einer industrienahen Pilotanlage. Wir testen, analysieren und bewerten Recyclingverfahren für erdöl- und biobasierte Kunststoffe – vor allem für Polyamide und Polyester. Zudem entwickeln und prüfen wir Verfahren, um die Monomere aus Kunststoffprodukten zurückzugewinnen. In der Kreislaufwirtschaft können sie als Ausgangsbausteine für neue, hochwertige Polymere wiederverwertet werden

Portraitfoto Dr.-Ing. Marcus Vater

»Das chemische Recycling ist ein wachsendes Forschungs- und Entwicklungsfeld. Zu den großen Herausforderungen zählt, Monomere zurückzugewinnen, die einen hohen Reinheitsgrad haben.«

 

Dr.-Ing. Marcus Vater, Leiter der Arbeitsgruppe »chemisches und biologisches Recycling« am Fraunhofer IAP. Im Interview spricht er über aktuelle Entwicklungen und Handlungsfelder.

Nanomaterialien

Für die Herstellung und Skalierung metallbasierter Nanopartikel mit hoher Qualität betreiben wir einen Flussreaktor am Zentrum für Angewandte Nanotechnologie CAN, einem Forschungsbereich des Fraunhofer IAP. Nanomaterialien auf Metallbasis sind für viele Anwendungen geeignet. In Brennstoffzellen dienen sie beispielsweise als Katalysatoren, in druckbaren Tinten lassen sie sich zu Halbleiterschichten für Solarzellen verarbeiten, in der Medizin helfen sie dabei, Krankheiten zu diagnostizieren. Unser Flussreaktor ermöglicht es, Syntheseparameter schnell zu verändern und so die Entwicklungszeit für Nanopartikel deutlich zu beschleunigen. 

 

Faserverbundwerkstoffe für den Leichtbau

Für den polymerbasierten Leichtbau mit Faser-Kunststoff-Verbunden nutzen wir am Fraunhofer IAP unterschiedliche Pilotanlagen im Forschungsbereich Polymermaterialien und Composite PYCO. Ihre Einsatzfelder reichen von der Entwicklung von Spezialpolymeren oder Methoden für die Härtung von Kompositen bis hin zur Fertigung ganzer Bauteile in Leichtbauweise. Industriepartnern steht unter anderem eine modular aufgebaute Imprägnieranlage zur Verfügung, die zusammen mit einer großtechnischen Durchlaufmikrowelle für Tests mit bandförmigen Materialien eingesetzt werden kann. Aushärtungsverfahren für carbonfaserverstärkte Bauteile bis zu einem Meter Breite und Höhe prüfen wir in einer zweiten großtechnischen Mikrowelle.

Faserverbundbauteile mit komplexen Geometrien verwirklichen wir mit der Automated-Fiber-Placement-Technologie (AFP-Technologie). Sie ermöglicht eine präzise und effiziente Herstellung von Faserverbundbauteilen für Branchen, die hohe Anforderungen an die Festigkeit und Steifigkeit von Bauteilen stellen, beispielsweise in der Luft- und Raumfahrt, der Energietechnik oder der Automobilindustrie. Derzeit verwenden wir die AFP-Technologie, um ein sehr leichtes Antriebs- und Seitenwellensystem mit thermoplastischer Matrix für Pkw und Lkw zu entwickeln. Unseren Berechnungen zufolge kann der Kraftstoffverbrauch eines Fahrzeugs mit den neuen Wellen um 0,3 Prozent gesenkt und die CO2-Emissionen für neu zugelassene Pkw und Lkw in Deutschland beträchtlich reduziert werden. Im Vergleich zu stahlbasierten Antriebswellen ist sogar eine Einsparung des Gewichts von mehr als 65 Prozent möglich.