1. Was treibt Ihre Forschung an und welches Potenzial möchten Sie erschließen?
Polyurethan ist ein vielseitiger Kunststoff, der in Matratzen, Verpackungen, Sportartikeln, Dichtungen, Lacken, Klebstoffen, Bauschaum und sogar in der Medizintechnik verwendet wird. Seine Herstellung erfolgt über ein Baukastensystem mit Isocyanaten, Kettenverlängerern und Polyolen, wobei die hohe Reaktivität der Isocyanate eine schnelle Verarbeitung ermöglicht. Allerdings sind Isocyanate toxisch und können Allergien oder Asthma auslösen. Daher hat die Europäische Chemikalienagentur EChA eine Beschränkung erlassen: Seit 2023 dürfen nur noch speziell geschulte Personen mit Formulierungen arbeiten, die mehr als 0,1 Prozent Isocyanat enthalten. Vor diesem Hintergrund haben wir eine Synthese entwickelt, die auf toxische Isocyanate verzichtet.
Ein weiterer Antrieb war die Tatsache, dass herkömmliche Polyurethane fossile Energieträger wie Erdöl oder Erdgas als Kohlenstoffquelle nutzen. Wir setzen stattdessen auf eine nachhaltige Variante, indem wir Kohlenstoffdioxid und Polyurethan-Rezyklate in Polyurethane einbauen. Kohlenstoffdioxid wird dafür möglichst konzentriert und in hoher Reinheit direkt dort gewonnen, wo es anfällt, etwa in Kraftwerken – noch bevor es in die Atmosphäre gelangt. Durch die gezielte Einbindung von Kohlenstoffdioxid in Materialstrukturen reduzieren wir den Ausstoß klimaschädlicher Emissionen und leisten einen aktiven Beitrag zur Kohlenstoff-Kreislaufwirtschaft. NIPUs können also langfristig auch ökologische Vorteile mit sich bringen – ein Ansatz, der aus unserer Sicht erhebliches Potenzial birgt.
2. Welche Erfolge oder Erkenntnisse aus Ihrer bisherigen Arbeit stimmen Sie besonders optimistisch? Wo sehen Sie noch spannende Herausforderungen?
Ein bedeutender Meilenstein war die Erkenntnis, dass unsere isocyanatfreien Polyurethan-Materialien ebenso vielseitig einsetzbar sind, wie herkömmliche Polyurethane und damit eine echte Alternative darstellen. Wir haben zudem gezeigt, dass sich NIPUs analog zu klassischen Polykondensationsverfahren, z. B. für PET, herstellen lassen – und das sogar im Technikumsmaßstab. Das lässt erwarten, dass sich NIPUs auch großtechnisch produzieren lassen. Auch die Verarbeitungseigenschaften sind sehr ähnlich zu klassischen thermoplastischen Polyurethanen, was eine einfache Integration in bestehende Herstellungsprozesse ermöglicht. Darüber hinaus zeigen Lebenszyklusanalysen und Toxizitätsuntersuchungen, dass die NIPUs hinsichtlich Nachhaltigkeit tatsächlich Vorteile haben – sie sind als biokompatibel zertifizierbar.
Wir sind auch stolz darauf, dass es uns gelungen ist, Kohlendioxid als Rohstoff für NIPUs zu verwenden und chemische Recyclingverfahren zu entwickeln. So können wir die Kreislauffähigkeit dieser Materialien sicherstellen und tragen nicht nur zur Reduzierung fossiler Rohstoffe bei, sondern fördern auch eine nachhaltigere Nutzung von Ressourcen.
Eine zentrale Herausforderung bei NIPUs besteht darin, reaktive Formulierungen für Anwendungen wie Schaumstoffe, Lacke oder Klebstoffe zu entwickeln. Diese erfordern spezifische Reaktivitätsprofile, um vergleichbare Verarbeitungseigenschaften und Leistungsmerkmale wie herkömmliche Polyurethane zu erreichen. Auch dazu haben wir innovative Lösungen erarbeitet und verfügen nun über eine fundierte Wissensbasis für die Entwicklung maßgeschneiderter NIPU-Typen. Das ist sehr wertvoll, denn so können wir künftig nicht nur herkömmliche thermoplastische Polyurethane in vielen Anwendungsbereichen ersetzen, sondern auch völlig neuartige Einsatzmöglichkeiten erschließen – etwa resorbierbare NIPU-Fasern für medizinische Anwendungen.
3. Wenn Sie an die Zukunft denken: Wo könnte Ihre Forschung konkret Wirkung entfalten?
Grundsätzlich können NIPUs in allen Anwendungsbereichen klassischer thermoplastischer Polyurethane als nachhaltige Alternative genutzt werden. Sie bieten nicht nur den Vorteil einer isocyanatfreien Herstellung, sondern zeichnen sich auch durch eine energieeffizientere Verarbeitung aus, da sie beispielsweise per Extrusion bei niedrigeren Temperaturen verarbeitet werden können. Dies reduziert nicht nur den Energieverbrauch, sondern ermöglicht auch neue Verarbeitungsmöglichkeiten, insbesondere in temperaturkritischen Anwendungen.
Besonders in sensiblen Bereichen wie der Medizintechnik können NIPUs punkten. Ihre gleichmäßige Verarbeitbarkeit und die hohe Chargenkonstanz sorgen für zuverlässige Materialeigenschaften – ein entscheidender Vorteil, da sie im Vergleich zu klassischen thermoplastischen Polyurethanen weniger Vernetzung und keine Gelpartikel aufweisen. Dies kann die Herstellung von hochpräzisen medizinischen Produkten, wie flexiblen Implantaten und biokompatiblen Schlauchmaterialien oder auch den bereits erwähnten resorbierbaren Fasern erheblich verbessern.
Darüber hinaus bieten NIPUs großes Potenzial für weiterführende Anwendungen, etwa in der Automobilindustrie, wo sie zur Entwicklung leichter, langlebiger und umweltfreundlicher Materialien beitragen können. Auch im Bereich der nachhaltigen Verpackungen und Funktionswerkstoffe könnten sie eine Rolle spielen, indem sie neue Materiallösungen ermöglichen, die sowohl leistungsfähig als auch kreislauffähig sind.
4. Gibt es eine Erkenntnis, einen Gedanken oder einen Ausblick, den Sie zum Abschluss gern mit der Fachwelt oder der Öffentlichkeit teilen möchten?
Unsere Forschung an NIPUs geht stetig weiter – wir entwickeln sie gezielt für neue Anwendungen. Gleichzeitig sind wir stets auf der Suche nach weiteren innovativen Einsatzmöglichkeiten und neuen Kooperationspartnern, um das Potenzial dieser nachhaltigen Materialien weiter auszuschöpfen.
Wir sind überzeugt, dass isocyanatfreie Polyurethane eine vielversprechende Alternative zu klassischen Polyurethan-Materialien darstellen und in vielen Bereichen zu einer umweltfreundlicheren und sichereren Zukunft beitragen können. Daher laden wir die Fachwelt herzlich ein, sich mit uns auszutauschen, Ideen zu teilen und gemeinsam nachhaltige Materiallösungen zu entwickeln. Nur durch interdisziplinäre Zusammenarbeit und den offenen Dialog lassen sich innovative Technologien erfolgreich in die Praxis überführen.